
VON DER LIEBE
Wenn die Liebe dir winkt so folge ihr
sind ihre Wege auch schwer und steil
Und wenn ihre Flügel dich umhüllen gib dich ihr hin
auch wenn das unterm Gefieder versteckte Schwert dich verwunden kann
Und wenn sie zu dir spricht so glaube an sie
auch wenn ihre Stimme deine Träume zerschmettern kann
wie der Nordwind den Garten verwüstetet
Denn so wie die Liebe dich krönt kreuzigt sie dich
So wie sie dich wachsen lässt so beschneidet sie dich
So wie sie emporsteigt zu deinen Höhen
und die zartesten Zweige liebkost die in der Sonne zittern
so steigt sie hinab zu deinen Wurzeln
und erschüttert sie in Ihrer Erdgebundenheit
Wie Korngarben sammelt sie dich um sich
Sie drischt dich um dich nackt zu machen
Sie siebt dich um dich von deiner Spreu zu befreien
Sie mahlt dich bis du weiss bist
Sie knetet dich bis du geschmeidig bist
und dann - weiht sie dich ihrem heiligem Feuer
damit du heiliges Brot wirst für Gottes heiliges Mahl
All dies wird die Liebe mit dir machen
damit du die Geheimnisse deines Herzens kennenlernst
und in diesem Wissen ein Teil vom Herzen des Lebens wirst
Aber wenn du in deiner Angst nur die Ruhe und die Lust der Liebe suchst
dann ist es besser für dich deine Nacktheit zu bedecken
und vom Dreschboden der Liebe zu gehen
In die Welt ohne Jahreszeiten
wo du lachen wirst ... aber nicht dein ganzes Lachen
und weinen ... aber nicht all deine Tränen
Liebe gibt Nichts als sich selbst und nimmt Nichts als von sich selbst
Liebe besitzt nicht ... noch lässt sie sich besitzen
denn die Liebe genügt der Liebe
Und glaube nicht du kannst den Lauf der Liebe lenken
denn die Liebe - wenn sie dich für würdig hält - lenkt deinen Lauf
Liebe hat keinen anderen Wunsch als sich zu erfüllen
Aber wenn du liebst und Wünsche haben musst sollst du dir dies wünschen ...
Zu schmelzen und wie ein plätschernder Bach zu sein
der seine Melodie der Nacht singt
Den Schmerz allzu vieler Zärtlichkeit zu kennen
Vom eigenen Verstehen der Liebe verwundet zu sein
und willig und freudig zu bluten
Bei der Morgenröte mit beflügeltem Herzen zu erwachen
und für einen weiteren Tag des Liebens Dank zu sagen
Zur Mittagszeit zu ruhen und über die Verzückung der Liebe nachzusinnen
Am Abend mit Dankbarkeit heimzukehren
und dann einzuschlafen mit einem Gebet für den Geliebten im Herzen
und einem Lobgesang auf den Lippen
- (Khalil Gibran, Poet)
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